Schulgeschichten erzählen Schulgeschichte

 

JetztReichtsVorDieTuer-BuchtitelBei Klassentreffen werden sie erzählt oder wenn die Enkel die Großeltern fragen, wie es bei ihnen früher in der Schule gewesen ist: die Geschichten von strengen, originellen oder sadistischen Lehrern, die Anekdoten von gelungenen oder misslungenen Streichen und deren Folgen, die außergewöhnlichen Ereignisse, die dem Schulalltag ihre Würze gaben.

Wenn man solche Geschichten über die Zeiten hinweg verfolgt, dann kann man aus ihnen manches erfahren über das Wesen und den Geist der Schule in der jeweiligen Epoche, sie sind nicht nur unterhaltsam und manchmal humorvoll, sie vermitteln auch Einsichten in die Schulgeschichte.

In dem vom ehemaligen Leiter des Saarländischen Schulmuseums, Prof. Horst Schiffler, zusammengestellten Band, bereichert mit Zeichnungen des Illustrators Bernd Kissel, beginnen die dreißig Erzählungen in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg und gehen zurück bis ins Mittelalter. Es offenbaren sich Zustände der Nachkriegsschule, wir erleben die Strenge Ordnung des preußischen Lehrerseminars, die Mühsal des Berufs im 19. Jahrhundert, verfolgen die Entstehung einer neuen Schulordnung im 18. Jahrhundert oder den Eintritt einer Novizin in eine mittelalterliche Klosterschule. Es wird ein literarisches Schulmuseum geboten, das bei älteren Lesern auch Erinnerungen an eigene Schulerfahrungen wecken kann.

 

Horst Schiffler, "Jetzt reicht`s - vor die Tür!" (Nov 2014), Schulgeschichten erzählen Schulgeschichte, mit Illustrationen von Bernd Kissel, 66 S., € 9,80

ISBN 978-3-938381-48-9

 

Leseprobe

Sitzordnung bei Behrmann

Das alte Verfahren, die Schüler nach ihren aktuellen Leistungen in der Klasse zu versetzen – je besser, desto weiter hinten -, war nach 1920 als unpädagogisch in Verruf geraten. Doch selbst noch in den vierziger Jahren war Lehrer Behrmann ein Anhänger dieser Methode der Motivation, und so herrschte bei ihm ein munterer Platzwechsel in der Klasse, wobei sich die Stammtruppe der Guten meist im hinteren, die Schlechten in der Regel nur im vorderen Drittel der Bankreihen bewegten.

Rudi saß an einem Januartag 1945 in der zweitletzten Bank. Behrmann stellte ihm eine Frage; Rudi wusste keine Antwort. Behrmann rief den Mitschüler in der Bank vor ihm auf. Die Antwort kam zögernd, aber sie kam. „Plätze tauschen“, lautete Behrmanns Kommando. Beschämt rückte Rudi einen Platz vor. Er hatte sein seelisches Gleichgewicht noch nicht zurückgewonnen, da wurde er schon wieder aufgerufen. Auch diesmal blieb er die Antwort schuldig; sein Vordermann war erfolgreicher und durfte hochrücken. Rudi saß jetzt schon im Mittelfeld, hoffentlich erzählt das keiner zu Hause. Er war noch ganz mit den möglichen Folgen seiner Talfahrt beschäftigt, als das Schicksal in Gestalt einer Behrmann`schen Frage wieder zuschlug; er konnte nur stottern. Am Ende des Schulvormittags fand sich Rudi in der dritten Bank von vorn – bei den Dummen. Diese Schmach. Doch Rudi rappelte sich seelisch wieder auf: „Ab morgen geht es wieder nach oben“, nahm er sich trotzig vor. Er hatte Pech. In den Wirren des Kriegsendes wurde ab dem folgenden Tag der Unterricht in der Schule ausgesetzt, es gab danach nur noch sporadischen Lerngruppenunterricht für die Kinder einer Nachbarschaft in Privathäusern, Rudi konnte bei Rektor Behrmann nie mehr aufrücken, denn nach dem Krieg wechselte er die Schule.